13. November 2016

"Fahrradstadt" Hamburg: Zwischen Propaganda, Wunsch und Wirklichkeit

"City for cyclists" Hamburg - Between desire und reality
Aktualisiert um 14:31 Uhr

Schulweg, Baustelle: Eigentlich sollen Radfahrer hier auf dem Gehweg radeln dürfen. Dies ist jedoch nicht gestattet - © Stefan Warda


Propaganda

Regelmäßig wird Hamburgs Radfahrern seitens der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) propagandamäßig versprochen, dass bei Straßenbaumaßnahmen Radverkehrsführungen eingerichtet würden. Leider ist das nur selten der Fall. Und diese Tatsache scheint von der Behördenleitung weitgehend ignoriert zu werden.

Aktuell werden entlang des Ring 2 in Eimsbüttel im Verlauf von Schulweg, Im Gehölz und Gärtnerstraße Straßenbauarbeiten durchgeführt. Dabei handelt es sich um Fahrbahnsanierungen, Veränderungen der Radverkehrsführungen, Erneuerung der Gehwegflächen, Umbau der Bushaltestellen und Optimierung der Ampelanlagen. Für den MIV steht während der Baumaßnahmen je Fahrtrichtung eine Fahrspur zur Verfügung.

Grundsätzlich gilt im Verlauf des Ring 2 die Benutzungspflicht für die vorhandenen Hochbordradwege. Am 9. August kündigte die Pressestelle der BWVI die Baumaßnahme an. Über die gesamte Bauzeot sollte der Radverkehr sicher an der Baumaßnahme vorbeigeführt werden, so die Pressemeldung.
Der Geh- und Radverkehr wird über die gesamte Bauzeit sicher an der Baumaßnahme vorbeigeführt.

Wunsch und Wirklichkeit

Tatsächlich wurden für Radfahrer keinerlei Vorkehrungen getroffen. Aus Richtung Altona kommend endet der benutzungspflichtige Radweg irgendwo im Baufeld zwischen Henriettenweg und Osterstraße. Der Gehweg im weiteren Verlauf des Ring 2 ist bis zum Ende der Baumaßnahme an keiner Unterbrechung der Radwege für den Radverkehr freigegeben. Radfahrer müssen also auf die Fahrbahn ausweichen. Da nur eine von üblicherweise zwei Fahrspuren je Fahrtrichtung offen steht, müssen sich Radfahrer in die im Stau stehenden Autokolonnen einreihen. Radfahrer können auf der Fahrbahn von nachfolgenden Fahrzeugen nicht überholt werden, da die Gegenfahrspur von einer durchgezogenen Linie getrennt ist. Unter einer sicheren Radverkehrsführung stellen sich die meisten Bürger eine andere Lösung vor. 

Hamburgize berichtete im September über den desolaten Zustand der "Radverkehrsführung" entlang der Baumaßnahme und wandte sich anschließend an die BWVI.
Die Pressestelle der BWVI hatte angekündigt, dass Radfahrer während der Baumaßnahme entlang des Ring 2 in Eimsbüttel sicher an der Baustelle vorbei geführt würden.
"Der Geh- und Radverkehr wird über die gesamte Bauzeit sicher an der Baumaßnahme vorbeigeführt."
Leider ist dem so nicht. Radfahrer müssen sich derzeit die einzig befahrbare Fahrspur Richtung Eppendorf mit den Autos teilen, weil in der Nebenfläche das Radfahren im Baustellenberich verboten ist. Dies ist nun ein weiterer Fall in sehr, sehr langer Folge, bei dem die BWVI den Radfahrer per Pressemitteilung irgendetwas verspricht, was tatsächlich nicht umgesetzt wird. Auch am Lessingtunnel wurde angekündigt, dass Radfahrer den Tunnel befahren dürften. Dies wurde aber nicht umgesetzt, das Befahren des Tunnels blieb bislang Radfahrern verboten.

Die BWVI antwortete daraufhin mit einer Stellungnahme des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), wonach Radfahrer im Bereich der Baustelle am Ring 2 in Eimsbüttel die Gehwege benutzen dürfen sollten.
Radfahrer können sich im Bereich der Baustelle Gärtnerstraße/Schulweg die Nebenflächen mit den Fußgängern teilen. Diese temporären Beeinträchtigungen der Radfahrstreifen auf den Nebenflächen sind während der Ausführungszeit von Baustellen grundsätzlich nicht auszuschließen. Die gemeinsame Nutzung der Nebenflächen unter beengten Platzverhältnissen bedeuten von allen Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Aufmerksamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme im öffentlichen Straßenraum.
Die Nebenflächen werden mit der sogenannten „Service-Lösung“ beiden Verkehrsteilnehmern, Fußgängern und Radfahrern, während der Ausführung zur Verfügung gestellt. Der Gehweg wird dafür mit Zeichen 239 StVO „Sonderweg Fußgänger“ und Zusatzzeichen 1022-10 “Radfahrer frei“ beschildert und damit auch für den Radverkehr freigegeben. Grundsätzlich geht es dabei um die Zulassung des Radverkehrs, wobei der schnellere Radverkehr weiterhin die Fahrbahnen benutzen darf. Es gibt also im Gegensatz zur Beschilderung mit Zeichen 240 „gemeinsamer Fuß- und Radweg“ keine Benutzungspflicht.

Doch seit dieser Antwort der BWVI fehlt weiterhin bis heute die beschriebene Freigabe der Gehwegflächen für den Radverkehr im Bereich der Baustelle am Ring 2. Die BWVI verwies in Ihrer Antwort jedoch noch auf die "grundsätzliche Problematik der Führung des Radverkehrs an Baustellen",  die im Fortschrittsbericht 2015 zur Radverkehrsstrategie dargelegt ist. Darin heisst es, dass unter dem jetzigen Senat alle Baulastträger die Sicherung und Umleitung des Radverkehrs bei Straßenbaumaßnahmen gewährleisten müssen. Offenbar ist dieses Ziel des Senats bislang noch nicht umgesetzt. 

Die Zentrale Straßenverkehrsbehörde der Verkehrsdirektion hat darauf hingewirkt, dass die örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit auf die Einhaltung der straßenverkehrsbehördlichen Genehmigungen achten. Die Broschüre des Landes Nordrhein-Westfalen zum Themenbereich „Baustellenabsicherung im Bereich von Geh- und Radwegen“ wurde den örtlichen Straßenverkehrsbehörden zur Verfügung gestellt. Anlassbezogen werden die darin enthaltenen Vorschläge bei Planung der einzelnen Maßnahmen berücksichtigt. Die Sicherheit des Fuß- und Radverkehrswird bei jeder straßenverkehrsbehördlichen Anordnung besonders berücksichtigt.
Im Rahmen sogenannter Verkehrsbesprechungen mit Baufirma, Bauaufsicht und der örtlichen Straßenverkehrsbehörde wird die Baustellenbeschilderung festgelegt und anschließend angeordnet. Die Kontrolle der Einhaltung straßenverkehrsbehördlicher Anordnungen erfolgt im Rahmen der personellen Kapazitäten. Die Kontrolle der Einhaltung straßenbaubehördlicher Anordnungen obliegt dem jeweils zuständigen Straßenbaulastträger, d. h. sie erfolgt je nach Maßnahme und Bezirk regelmäßig durch die Bauaufsicht oder die bezirklichen Wegewarte.
Bezüglich der Umsetzung wurde von den örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörden die Erfahrung gemacht, dass eine verstärkte Sensibilität der Bauunternehmen in Bezug auf die Einhaltung der Verkehrszeichenpläne auch nach der letzten Erhebung nicht zu verzeichnen ist. Eine positive Entwicklung wurde lediglich dahingehend beobachtet, dass die Aufstellung des Zusatzzeichens „Radfahrer absteigen“ von den bauausführenden Firmen seltener vorgeschlagen wird. Der im April 2015 neu gebildete Senat hat sich daher ausdrücklich zum Ziel gesetzt, dass alle Baulastträger die Sicherung und Umleitung des Radverkehrs bei Straßenbaumaßnahmen gewährleisten müssen.

Fehlende Kontrollen

Kontrollen der zuständigen Baulastträger scheint es in Hamburg kaum zu geben. Seitens der Straßenverkehrsbehörden sollen Kontrollen "im Rahmen der personellen Kapazitäten" erfolgen, ansonsten "regelmäßig durch Bauaufsicht oder die bezirklichen Wegewarte". Dass dieses Prinzip unzureichend ist, bemängelte auch die Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann mit einer schriftlichen kleinen Anfrage. Der Senat antwortete mit einer Darstellung der angedachten Zuständigkeiten.
Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen zur Durchführung von Straßenbauarbeiten werden gemäß § 45 Absatz 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom jeweiligen Straßenbaulastträger angeordnet. Straßenbaulastträger im Sinne dieser Bestimmung sind in Hamburg der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer, das örtlich zuständige Bezirksamt, HAMBURG WASSER und Hamburg Port Authority. Für die Kontrolle der sach- und fachgerechten Umsetzung von straßenbaubehördlichen Anordnungen ist die Straßenbaubehörde zuständig.
Nur Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen für dauerhafte Verkehrsregelungen und sonstige zumeist kleinräumige Arbeiten im Straßenraum (zum Beispiel im Gehwegbereich) werden gemäß § 45 Absatz 1 StVO von der örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörde der Polizei angeordnet.
Erkenntnisse der Polizei über eine unzureichende Beschilderung auch in Baustellenbereichen, die auf eigenen Feststellungen oder Hinweisen aus der Bevölkerung beruhen, werden von der Straßenverkehrsbehörde umgehend überprüft. Die Straßenverkehrsbehörden werden dabei von den Mitarbeitern der Polizeikommissariate, aber auch anderen im öffentlichen Raum tätigen Polizeibeschäftigten unterstützt, die festgestellte Mängel in der Sicherung von Baustellen oder der allgemeinen Beschilderung melden, um die Beseitigung dieser Mängel zu veranlassen. Notwendige Maßnahmen zur Korrektur, Ergänzung oder Optimierung der Beschilderung werden bei der jeweils zuständigen Behörde veranlasst.

Im aktuellen Fall der Baustelle am Ring 2 in Eimsbüttel scheint demnach der LSBG der Baulastträger zu sein, der die von ihm geplante Radverkehrsführung nicht eingerichtet hat. Falls die verantwortlichen Baulastträger die vorgesehenen Radverkehrsführungen nicht einrichten, sei grundsätzlich wieder die Straßenverkehrsbehörde für die Angleichung der Verkehrsfürhung gemäß Verkehrszeichenplan zuständig, so die Antwort des Senats an Heike Sudmann.

Auf die Frage, wie sich Radfahrer bei widersprüchlichen Verkehrsanordnungen - z.B. im Rahmen von Baustellen - verhalten sollten, verwies der Senat auf die Verbindlichkeit der jeweils vor Ort aufgestellten Verkehrszeichen. Ob diese Sinn machen machen, bleibt davon unberücksichtigt
Aufgestellte Verkehrszeichen sind im Rahmen von Allgemeinverfügungen nach § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) verbindlich und von jedem Verkehrsteilnehmer zu beachten.

Somit bleit den Radfahrern am Ring 2 im Verlauf von Schulweg, Im Gehölz und Gärtnerstraße weiterhin nichts anderes übrig, als auf der Fahrbahn zu fahren oder das Gebiet weiträumig zu umfahren. Tatsächlich radeln jedoch viele auf den Gehwegen, auch wenn die Verkehrszeichen vor Ort das Gehwegradeln nicht erlauben.


Schulweg / Tornquiststraße: Radwegbenutzungspflicht - © Stefan Warda

Schulweg, Baustelle: Radwegende unter Müllhaufen, Dixiklo und Absperrungen. Der Geheg ist nicht für den Radverkehr freigegeben. Radfahrer müssen ab hier auf die Fahrbahn wechseln in Richtung Eppendorf - © Stefan Warda

Schulweg / Osterstraße: An der Querung mit der Osterstraße keine Gehwegfreigabe für Radfahrer. Radfahrer müssen im weiteren Verlauf auf der Fahrbahn fahren - © Stefan Warda

Im Gehölz 1, Baustelle: Ein kurzes Radwegabschnittchen endet vor der Baustelle nahe der Kreuzung mit der Veloroute 3 an der Goebenstraße. Der Gehweg ist nicht für den Radverkehr freigegeben. Auch dort müssen Radfahrer auf die Fahrbahn wechseln - wie auch immer - © Stefan Warda

Gärtnerstraße / Goebenstraße, Baustelle: Keine Freigabe des Gehwegs für den Radverkehr - © Stefan Warda

Gärtnerstraße / Goebenstraße, Baustelle: Keine Freigabe des Gehwegs für den Radverkehr - © Stefan Warda

Gärtnerstraße: Keine Freigabe des Gehwegs für den Radverkehr - © Stefan Warda
  


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3 Kommentare:

  1. Manchmal verbleiben auch n a c h Abbau einer Baustelle Situationen, die so bestimmt nicht von der Behörde beabsichtigt sind. So ist zum Beispiel seit knapp zwei Monaten an der Ecke Hamburger Strasse / Weidestrasse das Zeichen 237 kunstvoll mit einem blauen Müllsack verhüllt. Überbleibsel einer Tagesbaustelle, für die kurz ein gemeinsamer Geh- / Radweg eingerichtet wurde und das Zeichen 237 per Müllsack außer Kraft gesetzt wurde.

    Der Müllsack hebt hier die Benutzungspflicht an einer vielspurigen Hauptverkehrsstrasse auf...ich bin mal gespannt, wann der Polizei oder den zuständigen Behörden das auffällt. Bislang hat sich seit etwa 2 Monaten keiner dafür interessiert....

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  2. Wie kann man seine interessante Meinung bloß immer in solchen Bleiwüsten ohne Header etc. untergehen lassen. Schade. Würd die Texte sonst lesen.

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  3. Oben wird schön geredet - unten passiert das Gegenteil. Hamburg hat ein Kommunikationsproblem auf allen Ebenen.

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